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Hauptsache, Unterricht findet statt!

Am 1. Februar 2017 steht sie wieder an – die nächste große Einstellungswelle. Fertig ausgebildete Lehrkräfte erhalten einen Arbeitsvertrag für den Schuldienst im Land Brandenburg. Junge und motivierte Menschen lernen, Anträge für Ausflüge auszufüllen, diese mit den Schülern zu planen und kurz vorher abzusagen. Sie schreiben jährlich neue Curricula, schlagen sich durch den Dschungel zunehmender Bürokratisierung, lernen die ständig wechselnden Namen der Vertretungslehrer und sorgen sich um die Versorgung des Raumes mit Kreidestücken. Sie studieren die sich stets verändernden Verwaltungsvorschriften, planen den Unterricht anhand der in der Schule nicht vorhandenen Ressourcen. Sie übernehmen Pausenaufsichten und Stunden der erkrankten Kollegen und quetschen ihre Materialien in die viel zu kleinen Vorbereitungsräume. Nachdem die Junglehrer diese und weitere Hindernisse gemeistert haben, versuchen sie auch noch, den Schülern das Wissen mit auf den Weg zu geben, damit diese ihren weiteren Lebensweg erfolgreich bestreiten können.

Ich als junger Referendar kurz vor dem Abschluss habe auf den Alltag der Brandenburger Schulen einen anderen Blick als jene Personen, die das System schon seit Jahrzehnten kennen und sich an dessen Anblick und dessen träge Transformation gewöhnt haben. Eine flächendeckende Manöverkritik am Brandenburger Bildungssystem mag aus der Position des Berufseinsteigers zunächst anmaßend wirken, doch die Anzeichen verdichten sich, dass meine Ansicht ziemlich deckungsgleich mit der von anderen Kollegen, Elternvertretern und Schülern sind. Es herrscht also kollektive Unzufriedenheit mit dem Zustand des Schulsystems.

Neben all den Unzulänglichkeiten, die das Brandenburger Schulsystem hat, möchte ich an dieser Stelle nur auf eine genauer eingehen, denn diese ist wirklich fatal für die Schüler. Mich stört vor allem die zentrale Handlungsmaxime öffentlicher Schulen: Hauptsache, Unterricht findet statt! Egal, was qualitativ herauskommt. Die Klassenräume sind gut gefüllt mit Menschen. Auf der einen Seite und theoretisch im Zentrum schulischen Handelns stehen die Schüler selbst. Auf der anderen Seite ein etwas älterer Mensch. Dieser Mensch besitzt jeweils unterschiedliche Eigenschaften, die das Unterrichten massiv erschweren und diesen Akt an sich verändert hat:

  1. Die Person kann nahe der Rente sein. Dies beeinflusst deren Leistungs- und Belastungsfähigkeit negativ, stellt ihre fachliche Kompetenz jedoch nicht infrage.
  2. Die Person kann frisch aus dem Referendariat gekommen sein. Er ist manchmal noch etwas unsicher, aber sein größter Nachteil ist, eine Seltenheit zu sein.
  3. Die Person kann fachfremd sein. Zu fachfremder Vertretung kommt hinzu, dass man seit einiger Zeit ein sogenanntes „Neigungsfach“ bei der Bewerbung zum Schuldienst angeben kann. Dieses Fach hat man zwar nicht studiert, aber man ist diesem irgendwie zugeneigt und somit eben qualifiziert, es zu unterrichten.
  4. Die Person kann kein Lehrer sein. Die Eignung zum Vertretungslehrer erhält man in Brandenburg schon durch das erfolgreiche Ausfüllen einer Online-Bewerbung.
  5. Die Person kann in einem anderen Raum sein. Die Kopiervorlage ersetzt hierbei meistens die Lehrperson, wobei die Türen der sich gegenüberliegenden Räume selbstverständlich geöffnet bleiben – der vertretende Kollege hat schließlich eine Aufsichtspflicht.
  6. Die Person kann komplett fehlen. Die Kopiervorlage ersetzt auch hier die Lehrperson. Gearbeitet wird dann überall, nur nicht in der Schule. Euphemistisch ausgedrückt ist dann „überall“ einfach ein „außerschulischen Lernort“.

Besonders für die Personen, welche die Definition der letzten vier Kategorien erfüllen, ist das erfolgreiche Setzen des Signums im Klassen- oder Kursbuch gleichbedeutend mit erfolgreichem Unterrichten. Dann gibt es statistisch nämlich keinen festzuhaltenden Unterrichtsausfall und alle sind glücklich.

Festzuhalten bleibt so, dass schulinterne Vertretungsreserven erhöht werden müssen, mehr junge Menschen zum Lehrer ausgebildet werden müssen und vor allem: Guter Unterricht muss wieder der Kernbereich der Arbeit eines Lehrers werden. Störfeuer, welche die Arbeit des Lehrers und das Lernen des Schülers erschweren, müssen beseitigt werden, denn auch der Arbeitsmarkt für Lehrer ist von Konkurrenz unter den Ländern geprägt, besonders in der Zeit nach dem Referendariat. Und hier ist Brandenburg absolut nicht konkurrenzfähig. So bleiben die Lehrer, vor allem die jungen, fern. Fehlende Gelder können wir als Argument nicht mehr gelten lassen, denn: Wer bei der Bildung spart, setzt der Zukunft Schranken.

Der Sänger Pohlmann schrieb vor einigen Jahren einen Song mit dem Titel „Zwischen Heimweh und Fernsucht“. Die Fernsucht nach besseren Arbeitsbedingungen zerrt stark im Innersten vieler Referendare in Brandenburg, doch das Heimweh hält sich noch in diesem wunderschönen Bundesland. Lassen wir nicht zu, dass die Fernsucht stärker wird!